Mehr Demokratie dank Internet? Überlegt Euch das gut!

Geschrieben von am 09. November 2011 in Kategorie Meinung

Eine deutliche Mehrheit der deutschen Internetnutzer nimmt das Netz als Instrument zur Förderung der Demokratie wahr, geht aus einer neuen Umfrage hervor. Hier kommt eine Warnung – aber zuerst die Zahlen!

Das Netz trage zu mehr Demokratie bei, das glauben laut einer BITKOM-Umfrage (durchgeführt vom Institut Aris unter mehr als 1.000 Internetnutzern ab 14 Jahren in Deutschland) 64 Prozent der Befragten. „Breite Bevölkerungsschichten halten das Internet für ein wertvolles Instrument zur Bereicherung der Politik“, erklärte BITKOM-Präsident Prof. Dieter Kempf. Die positive Bewertung zieht sich durch alle Altersgruppen und ist unabhängig von Bildungsstatus und Geschlecht.

Mitbestimmung über das Netz

44 Prozent sind daneben der Ansicht, das Internet ermögliche ihnen selbst, Politik mitzugestalten. Unter den 14- bis 29-jährigen Onlinern findet diese mit 57 Prozent die meiste Zustimmung. In der Altersgruppe der 50- bis 64-jährigen Netznutzer sehen das bloß 24 Prozent so. „Politiker können das Internet einsetzen, um die Menschen zum Mitmachen bei politischen Aktionen zu bewegen und die zunehmende Distanz zwischen Staat und Gesellschaft zu verringern“, so Kempf.

Alle Parteien und nahezu alle Spitzenpolitiker sind mittlerweile auf Social Media-Plattformen wie Facebook, Twitter und studiVZ präsent mit eigenen Profilen. „Die Parteien versorgen ihre Anhänger dort mit Informationen und bieten ihnen eine Diskussionsplattform“, schreibt der BITKOM im Pressetext. Lassen wir das ruhig mal so stehen, obwohl ja vielfach die Kritik geäußert wird, dass Parteien viel zu wenig dialogbereit wären und sie das Netz vorwiegend als zusätzlichen Kanal zur Verbreitung ihrer Botschaften einsetzen.

Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene

Der BITKOM nennt die Kommunalpolitik als weiteres Feld für die Online-Bürgerbeteiligung. Sämtliche Parteien und so gut wie alle Spitzenpolitiker sind inzwischen in Netzwerken wie Facebook, studiVZ und Twitter mit eigenen Profilen vertreten. „Bürger könnten online mitteilen, wo sie der Schuh drückt, mit Bürgerhaushalten könnten kommunale Finanzen besser gemanagt werden“, heißt es seitens des Verbands. „Das Internet ist nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Gemeinden ein ausgezeichnetes Mittel gegen Politikverdrossenheit“, gibt sich Kempf überzeugt.

Das klingt ja sehr schön und passt so nett zu den angeblichen Twitter- oder Facebook-Revolutionen in der arabischen Welt und dem derzeitigen Hype um die Piratenpartei. Ich möchte die Daten der BITKOM-Umfrage aber zum Anlass nehmen, heute noch einmal eindringlich vor den Gefahren warnen, die von politischen Aktivitäten im Internet ausgeht. Dabei soll es nicht um die Vor- oder Nachteile von direkter Mitbestimmung gegenüber dem repräsentativ-demokratischen System gehen.

Das Internet vergisst nichts

Stattdessen möchte ich den Blick auf die Gefahren für den einzelnen Bürger durch politisches Engagement im Netz lenken. Die Warnung „Das Internet vergisst nichts!“ gehört zwar längst zu den nervigsten der abgedroschenen Redensarten, doch im Zusammenhang mit Politik hört man sie noch viel zu selten. Ich bin optimistisch und gehe deshalb davon aus, dass Deutschland in 20, 30 oder 40 Jahren ein ähnlich freies und demokratisches Land wie heute sein wird. Für heutige politische Äußerungen im Netz später vom Staat verfolgt und an Leib und Leben bedroht zu werden, muss man hierzulande zum Glück nicht fürchten.

Dennoch sollte man seine politischen Ansichten online nicht ohne Weiteres veröffentlichen. Wie bei allen veröffentlichten Informationen sollte man prüfen, ob derzeitige und künftige Arbeitgeber, Freunde und alle sonstigen Kontakte Kenntnis davon haben dürfen bzw. wie groß der Schaden vermutlich wäre. Jeder kleine Informationsschnipsel kann das entscheidende Stückchen sein, das ein positives Gesamtbild ins negative dreht. Es gibt insofern keine unwichtigen oder gänzlich ungefährlichen Daten über eine Person.

Es gibt solche und solche Daten über eine Person

Klar ist gleichzeitig: Welche politische Partei jemand unterstützt oder welche Haltung jemand bei kontroversen Themen wie Atomkraft, Stuttgart 21, Euro-Rettung oder Ausländerpolitik einnimmt, hat weit mehr Gewicht als Äußerungen dazu, welche Cola-Marke, welchen Fußball-Verein, welche Musikrichtung oder welche TV-Serie jemandem gefallen.

Nicht unter dem echten eigenen Namen (der bei Facebook beispielsweise aber Pflicht ist) zu politischen Themen Stellung zu beziehen, greift als Sicherheitsmaßnahme zu kurz. Wer in einem Community-Profil weder seinen Klarnamen angibt, noch ein Foto von sich ins Profil stellt, kann über andere Wege identifiziert werden. Neben den ganzen Infos, die ein Nutzer selbst veröffentlicht, bieten vor allem die digitalen Beziehungen zu anderen Nutzern Möglichkeiten der Erkennung – sofern man nicht schon selbst beispielsweise sein Twitter-Profil vom eigenen Blog oder einer anderen Community, in der man mit echtem Namen online auftritt, verlinkt.

Wenn es um gesundheitliche Fragen geht, sind die User vorsichtig

Geht es um Politik im Internet, sollte man daher ähnlich vorsichtig sein wie bei Aktivitäten in einem Forum zu medizinischen Fragen. Wer andere User um Rat bei seinen Symptomen bittet, ist heute meist so schlau, auf Anonymität zu achten. Bewusst sein sollte einem jedoch, dass technische Fortschritte (etwa bei Bilderkennung, Stimmanalyse und Auswertung von Rechtschreibung, Grammatik und Wortwahl) es uns immer schwerer machen, uns vor anderen zu verstecken.

Dabei denke ich weniger an den Staat, dem vom Bundestrojaner bis zu Projekten wie INDECT ganz besondere Möglichkeiten offenstehen. Nein, schon heute und erst recht in der Zukunft stehen jedem einzelnen von uns beachtliche Recherchemöglichkeiten zur Verfügung. Unternehmen wie Facebook sitzen auf Datenschätzen, die schon in der Hand der jeweiligen Unternehmen problematisch sind. Was, wenn diese Daten ihren Weg ins Internet finden, etwa nach einem großangelegten Hackerangriff, der das Ziel hat, das Vertrauen in die betroffene Plattform zu zerstören? Oder wenn es zu einem Datenleck kommt?

Datensparsamkeit bei politischen Themen

Generell ist also Datensparsamkeit gefragt, wenigstens was Daten angeht, die zur Not nicht doch jeder bekommen dürfte. Viele Informationen sollten gar nicht erst den Weg ins Social Web finden, selbst wenn man sie durch Privatsphäreeinstellungen der Allgemeinheit vorenthält. Hier genügt schon ein Bedienfehler des Nutzers selbst, um sie öffentlich zu machen. Für politische Mitgestaltung ist aber sowieso die allgemein zugängliche Veröffentlichung von Beiträgen Voraussetzung.

Gegen politisches Engagement im Netz spricht nicht nur, dass abweichende Meinungen von Gruppen oder Einzelpersonen auf die eine oder andere Weise bestraft werden. Sehr problematisch ist zudem der Konformitätsdruck. Wer möchte sich schon bei Nachbarn, Arbeitskollegen und Freunden unbeliebt machen? Statt zu sagen, was man denkt, denkt man lieber, was einem gesagt wird.

Die alte Regel für Familienfeiern, „Sprich bloß nicht über Politik oder Religion!“, lässt sich auf das Internet übertragen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich leugne nicht die Existenz positiver Wirkungen auf die Demokratie. Doch selbs wenn man von erheblichen positiven Auswirkungen auf die Demokratie an sich ausgeht, erübrigt sich nicht die Frage nach den Nebenwirkungen – erübrigt sich nicht die Frage, ob die Risiken zu groß sind – und zwar für den einzelnen Nutzer!

Wie steht Ihr zu Politik im Internet?

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  2. Vorsatz für das neue Jahr: Zurückhaltung bei Social Media | TechBanger.de says:

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  3. Politiker schließen im Wahljahr Lücken bei Social Media | billigberaten.biz says:

    […] Eines sollte nämlich klar sein: Wer im Bundestag sitzt, kann seine politischen Überzeugungen sowieso nicht geheimhalten. Seine politischen Äußerungen im Internet werden ihn noch das ganze weitere Leben verfolgen – für einen Berufspolitiker ist das unvermeidbar. Aber als Bürger sollte man sich gut überlegen, ob man politische Ansichten online stellt. Worauf ich dabei hinaus möchte, habe ich auf TechBanger bereits ausführlich beschrieben, lest es dort nach! […]