Wahlentscheidung im Internet?

Geschrieben von am 22. August 2009 in Kategorie Meinung

Die gewachsene Bedeutung des Internets zeigt sich in den Wahlkämpfen dieses Jahres. Sowohl Parteien als auch Medien und Organisationen engagieren sich verstärkt im Netz, aber kann man deshalb schon von einem entscheidenden Einfluss des Internets auf die Bundestagswahl sprechen?

Gestern brachte die VZ-Gruppe schon wieder etwas Neues zum Thema Politik und Wahlen ins Netz: die „Wechselwähler-WG“. Dabei handelt es sich um eine Aktion des Vereins Netzdemokraten, der das Ziel verfolgt, „Politik und Wahlkampf auf neue, kreative Weise für junge Menschen erfahrbar zu machen“, wie es auf der Vereinswebsite heißt. Sechs junge Menschen diskutieren einmal wöchentlich über Politik und Parteiprogramme gemeinsam mit einem Politiker.

Erster Gast war Katja Kipping, stellvertretende Parteivorsitzende von DIE LINKE, in der nächsten Runde ist SPD-Bundestagskandidat Björn Böhning dabei. Auf www.meinvz.net/wechsel-waehler lässt sich die Aktion verfolgen, es soll jedes Mal ein Video geben. Man kann nur hoffen, dass es hier eine steile Lernkurve bei der technischen Umsetzung zu sehen bzw. zu hören gibt. Vor allem der Ton konnte überhaupt nicht überzeugen. Zudem erfährt man in dem kurzen Video zwar was über den Ablauf der Aktion, aber nichts über politische Positionen und Inhalte. Mehr ist über die sechs „Wechselwähler“ zu erfahren, deren Profile nicht nur prominent platziert sind, man kann sie auch unterstützen. „Die Kandidaten – Wen findest Du am besten? Werde Anhänger!“, steht über der Übersicht über die Profile. Was soll das denn?!

Sinnvoller wäre, die Langfassung des Videos besser auffindbar zu machen. www.wechsel-waehler.de/blog/info/sonntagsrunde/ zeigt die ganze Stunde Diskussion, was aufgrund der ungünstigen Tonqualität aber nicht besonders interessant ist. Dabei ist die Idee der Wechselwähler-WG ja nicht schlecht: „Die sechs Bewohner wurden über ein Casting ermittelt und sind sowohl virtuell als auch in der realen Welt aktiv. Sie gehen raus auf die Straße, fragen Freunde und Passanten. Sie teilen ihren virtuellen Kühlschrank, bloggen ihre Meinung über die Kampagnen der Parteien, diskutieren mit Politikern am Küchentisch und kommentieren den Wahlkampf im Blog, bei YouTube und Twitter und natürlich bei studiVZ/meinVZ.“ (aus dem Pressetext der VZ-Gruppe)

Der Wunsch, das Web 2.0 zu einer wesentlichen Größe in den diesjährigen Wahlkämpfen zu machen, erscheint weit größer als das tatsächliche Gewicht des Social Webs zu sein. „Das Internet wird wahlentscheidend“, überschrieb der Hightech-Verband BITKOM diese Woche sogar einen Pressetext. Eine repräsentative Umfrage habe ergeben, dass das Internet „nach Ansicht vieler Wähler entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Bundestagswahl 2009 haben“ werde. Ohne den Einsatz des Internets könne keine Partei mehr eine Wahl gewinnen, äußerten dabei 44 % der wahlberechtigten Befragten.

„Das Internet wird zum zentralen Medium für die Kommunikation zwischen Politik und Bürgern“, verkündete BITKOM-Präsident Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Als Informationsmedium zu Politik liegt bei jungen Menschen das Web an erster Stelle: „Drei Viertel der 18- bis 29-Jährigen informieren sich im Web über Politik. Das Fernsehen nutzen 61 Prozent, persönliche Gespräche 56 Prozent und Tageszeitungen 54 Prozent“, informiert der BITKOM, aber:  „In der Gesamtbevölkerung steht dagegen das Internet bislang noch an fünfter Stelle, nach Fernsehen, Tageszeitungen, Radio und persönlichen Gesprächen.“ Wie kommt der BITKOM da auf „Das Internet wird wahlentscheidend“? Irgendwann, in der Zukunft, wenn der derzeit stattfindende Umbruch in der Medienindustrie vollzogen ist. Aber doch nicht dieses Jahr!

Zur Information über politische Themen werden vor allem die Websites der klassischen Medien genutzt: „81 Prozent der politisch interessierten Internetnutzer informieren sich bei den Online-Angeboten von Zeitungen, Magazinen oder TV-Sendern“, schreibt der Verband. „Die journalistische Kompetenz der klassischen Medien setzt sich auch im Internet durch“, kommentiert Scheer. „Jeder Dritte nutzt die Webseiten der politischen Parteien. In der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen sind es schon 55 Prozent. Stark im Kommen sind soziale Online-Netzwerke. Mehr als jeder fünfte Bundesbürger informiert sich bei Facebook, Xing, Youtube oder StudiVZ zu politischen Themen. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es 28 Prozent. 22 Prozent der Jüngeren nutzen Diskussionsforen“ sowie Blogs, hat die Umfrage ergeben. Scheer: „Blogs und soziale Online-Netzwerke werden für die politische Kultur immer wichtiger, weil sie eine direkte Interaktion zwischen Bürgern und Politikern ermöglichen.“

Das klingt gut, aber in der realen Welt gilt für 2009 doch eher, dass die Parteien gegen das Internet (Stichwort Zugangserschwerung) Wahlkampf machen als mit dem Netz. Die vorhandenen positiven Ansätze sind überwiegend noch sehr zarte Pflänzchen. Noch einmal zu studiVZ und meinVZ: Die Sonntagsfrage unter den Mitgliedern der Netzwerke ergab letzte Woche einen deutlichen Vorsprung der Piratenpartei vor allen anderen Parteien. Das ist ein sehr schönes Beispiel dafür, wie wenig wahlentscheidend das Internet tatsächlich noch ist. Zudem müssten sich die Politiker auf das Web 2.0 einlassen, im Artikel „Krampfhaft locker“ wurde in der taz neulich gut auf den Punkt gebracht, woran es krankt.

In einem schönen Artikel der Financial Times Deutschland mit der Überschrift „Die Internet-Lüge“ ist von Benedikt Göttert, Geschäftsführer von Serviceplan Public Opinion, zu lesen, der die Meinung vertritt, Menschen würden online nicht nach Politikern, sondern nach Botschaften suchen. Das klingt sehr überzeugend, auf die Inhalte kommt es, darum sollten die Politiker sich kümmern!

Allerdings seien die Politiker dabei „so authentisch wie ein Pfarrer, der den jungen Leuten sagt, Jesus sei ein affengeiler Typ gewesen“, was wahrhaft trefflich formuliert ist. Die meisten Politiker bewegen sich online eben nicht in ihrer natürlichen Umgebung. Ob das am Alter liegt und ob das als Entschuldigung durchgehen könnte, ist eine andere Frage. Doch es stützt nicht die Behauptung, das Internet sei 2009 in Deutschland wahlentscheidend.

Wie sieht Ihr das: Kommt dem Internet allenfalls als Informationsmedium eine relativ hohe Bedeutung im Wahljahr 2009 zu oder hat das Internet entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Wahlen?

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